It took a piece of me zeigt, was ist
Weder für die Liebe noch für die Seele gibt es bislang Messgeräte oder bildgebende Verfahren. Allerdings gibt es seit Menschengedenken die Kunst. Sie ist als Musik, Bild und darstellend in der Lage, Seelenzustände zu zeigen und zu beschreiben.
Zeichne auf ein Blatt so eine Figur*. Das „T“ im Gesicht steht für Augen und Nase. Die zwei Striche über dem Kopf markieren den Verbindungskanal zum Eins. Stell Dir vor, das Papier wäre nach oben endlos lang.
Reiß die Figur entlang der Seitenlinien aus.
Das bist Du selbst in Deinem ganzen Haben und Sein, mit Verbindung zum Eins. Voll und ganz bedingungslos geliebt, so wie Du bist. Denn das Eins, aus dem Du kommst, ist bedingungslose Liebe. Du kannst auch Lebensenergie oder einfach Energie dazu sagen. Stell Dir vor, diese energetische Verbindung geht hinein bis in die Tiefen des Universums oder zu Gott – je nach dem, wie Du dies nennst.
Reiß die Verbindung nach oben ab. Das ist das, was mit Deinem Eintritt in die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten passiert: Du verlierst Dein Bewusstsein für die vertikale Verbundenheit mit dem Eins, der Lebensenergie, durch Deine waagerechten Erlebnisse mit anderen Menschen fast vollständig. Ein kleiner Teil wird zwar stets bewahrt, doch die Frage ist, ob und vor allem wie Du diese Verbindung weiter (bewusst) nutzt bzw. nutzen kannst.
Jedes Wesen kommt mit geerbten Traumata zur Welt. Reiß stellvertretend für diese Traumata ein Teil aus der Figur heraus.
Auch Glaubenssätze werden vererbt über das, was man sei, was man mit seinem Potenzial anfangen könnte und dürfte und was nicht. Reiß weitere Teile heraus.
Kein Kind kommt mit einer Gebrauchsanweisung auf die Welt. Eltern machen darum garantiert etwas falsch.** Reiß stellvertretend für das, was Deine Eltern verkehrt gemacht haben, ein weiteres Teil heraus. Dazu ein Teil für Belastendes, das du in Kindergarten, Schule, mit Freunden und Partnern, in Studium und Beruf erlebt hast. Reiß auch ein Teil für Unfälle oder schwere Erkrankungen heraus.
Die Teile sind Dissoziationen, abgespaltenes Selbst, das durch Traumatisierung automatisch verlorengeht. Das Abgespaltene wird auch verlorene Seelenanteile genannt. Da, wo die Teile in der Figur fehlen, bleiben energetische Fehlstellen und Blessuren zurück, auch Schatten genannt. Diese sind in natura natürlich viel kleiner, aber erheblich zahlreicher als in dieser Zeichnung.
Die Engländer sagen it took a piece of me, wenn sie beschreiben wollen, dass sie etwas sehr mitgenommen hat. Vertraut ist uns auch die Beschreibung da stand ich neben mir, wenn wir etwas Schlimmes erlebt haben.
Mit jedem Verlust von Selbst reduziert sich die Lebensenergie. Damit schwindet auch das Gefühl des bedingungslosen Geliebtseins immer mehr. Anders gesagt, stehst Du aufgrund der Verluste bzw. der Fehlstellen in einem andauernden Selbststress.
Um das zu kompensieren, „tankt“ der Mensch mit verschiedensten Strategien waagerecht Energie: Substanzen aller Art, zu viel Arbeit, zu viele Beziehungen, zu viel Engagement, zu viel Aufopferung, zu viel von allem. Die Gesellschaft, in der wir leben, hält dafür mannigfache Angebote bereit, und wir sind selbst ein Teil dieses Angebots.
Der Mensch tankt auch Liebe, allerdings weltliche, bedingte Liebe. Diese Art von Liebe ist das, was nach den Dissoziationen vom Gefühl und Wissen ums bedingungslose Geliebtsein übrig bleibt. Bedingte Liebe sagt: „Wenn du dies oder das tust, wirst du geliebt.“ bzw. „Wenn ich dies oder das tue, werde ich geliebt.“ Fast alle Menschen tanken so.
Auch abgespaltenes Selbst steht zur Verfügung – und wird unbewusst von anderen in sich eingebaut. Zum Beispiel, um die eigene Brüchigkeit mit einer energetischen Mauer von außen zu stützen.
Doch fremdes Selbst passt nicht. Das spürt man. Es wieder los zu werden, ist eine Herausforderung. Niemand weiß ja, wo es steckt. Außerdem hat es eine andere Qualität als flüchtige Energie wie Substanzen oder Arbeit.
Sämtliche Bemühungen, die Fehlstellen aufzufüllen, sind vergeblich. Denn für die „Tanks“, die da gefüllt werden müssten, ist alles nie genug. Darum gehen auch so viele Beziehungen schief.
Manche Menschen versuchen dann das Gegenteil und sind bereit, den Rest Selbst auch noch herzugeben, im Glauben, dies lindere ihren Kummer. Oder sie versuchen, mit ihrem verbliebenen Selbst klarzukommen. Zum Beispiel, indem sie sich ihre Verluste bewusst machen und versuchen, diese in sich zu „integrieren“.
Solche Strategien hast du von kleinauf entwickelt und auch von anderen übernommen, denen es genau so geht. Die Strategien gehören zum Miteinander auf Erden, das sich über eine sehr lange Zeit eingespielt hat. Dabei spiegeln sich die Menschen einander ihre Fehlstellen und reagieren unbewusst und unerwartet darauf. Triggern wird das genannt, auch Mobbing und Schlimmeres kann daraus werden.
Doch die Strategien durchzuhalten, erschöpft. Das abgespaltene Selbst auszugleichen, wird irgendwann zu schwer. Hier zeigt sich ein Phänomen: Was nicht mehr da ist, ist zugleich eine Belastung. Nicht die Teile sind also zu schwer, die noch da sind. Sondern das, was fehlt, macht es schwer. Man kann daran zerbrechen, es depressed einen zusammen.
Der Reformator Martin Luther nannte den so in sich leidenen Menschen den homo incurvatus in se, den in sich verdrehten Menschen.
Sigmund Freud nannte drei Quellen für dieses Leiden, nämlich die Übermacht der Natur, die Hinfälligkeit des Körpers und die Unzulänglichkeit der Einrichtungen, die unsere Beziehungen in Familie, Staat und Gesellschaft regeln.
Ja, doch es ist nur eine Quelle, aus der wir uns speisen, und das ist diese Eine Energie.
Dadurch, das wir das Bewusstsein dafür verloren haben, gingen uns das Wissen und die Erfahrung abhanden, bedingungslos geliebt zu sein. Genau das ist unser wirkliches Leiden, aus dem alles andere Leid auf Erden resultiert. Denn je mehr bedingungslose Liebe Menschen fehlt, wenn sie klein sind – je mehr sie also dizssoziieren –, desto grausamer oder desto duldsamer werden sie, wenn sie älter werden.
Das hier Gezeigte hat noch eine weitere Auswirkung. Denn die Frequenzen, auf denen Menschen unterwegs sein können, auf denen sie ihre Umwelt wahrnehmen und auf die sie reagieren können, sind aufgrund der Dissoziationen offen oder geblockt, sende- und empfangsbereit oder gestört, aufnahmefähig oder taub und alles dazwischen.
Darunter leidet die Resonanz*** zwischen ihnen und der Welt, vor allem die zwischen ihnen und anderen Menschen. Doch vor allem leidet die Resonanz des Menschen in sich selbst.
Musik ohne Worte kann sich in all das legen. Darum ist sie Balsam für die Seele. Enthält sie Worte, kann sie je nach Inhalt den Schmerz über das verlorene Selbst verstärken oder mildern.
Intrasonanz heißt, die verlorenen Teile nach und nach wieder an ihren ureigenen Platz zu befördern. Man findet nach Hause zu sich ins Haben und Sein, kann in sich wohnen (habite secum).
Dein Haben und Sein erwartet Dich und weiß, wo welches Stück hingehört – und auch, welches Stück wann am besten zurückgeholt werden sollte. Das ist wichtig. Denn Abspaltung von Selbst fungiert in belastenden Situationen als energetischer Schutz. Alle Dissoziationen ergaben dann über die Zeit insgesamt eine schützende, Dir vertraute Struktur.
Wie hinderlich diese Struktur eigentlich ist, spürst Du zum Beispiel, wenn Beziehungen nicht funktionieren, Du von Substanzen nicht loskommst oder andere unangenehme Symptome auftauchen.
Mit Intrasonanz holst Du stets nur genau die durch vergangene Belastungen verlorenen Teile zurück, die mit dem etwas zu tun haben, was Dich jetzt belastet. Denn beides steht in ursächlichem Zusammenhang.
Das Zurückholen funktioniert, ohne dass Du über schlimme Erlebnisse sprechen müsstest.
Du bist ein bedingungslos geliebtes Gotteskind und hast wie alle anderen das Geburtsrecht, heil und ganz in Deinem Haben und Sein zu werden und zu sein.
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* Die Figur entstammt der Formensprache meiner künstlerischen Werke zum Thema Leid vs. Geborgenheit in der Menschheitsgeschichte.
** Eltern sind selbst so zerrissen, ihre Eltern waren es ebenfalls und immer so weiter zurück durch die Generationen.
*** Vgl. Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. 2. Auflage. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, ISBN 3-518-58626-2